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Session: 07.12.2016

Ein Fall von "assistiertem Suizid" einer Person aus dem Ausland am 18.10.2016 auf dem Gemeindegebiet von San Vittore wirft Fragen auf, welche an die kantonale Exekutive gerichtet werden müssen. Der Gemeindebehörde war weder die Zweckbestimmung der Wohnung, in welcher der Suizid durchgeführt wurde, bekannt, noch hatte sie Kenntnis davon, dass es sich um einen erwerbsmässig durchgeführten Vorgang handelte (für erwerbsmässig durchgeführte Vorgänge ist eine Bewilligung einzuholen). Ohne auf die grundlegenden Rechtsvorschriften zur Beihilfe zum Suizid eingehen zu wollen, welche anscheinend nicht verletzt wurden, sowie ohne die ethische Frage aufzugreifen, wirft die Praxis als solche Fragen auf. Gleiches gilt für die Personen, die in Vorgänge involviert sind, welche in ein Phänomen des "Todestourismus" im Moesano ausarten könnten.

Das Moesano weist enge Kontakte zum Tessin auf und ist mit dessen Problemen vertraut. Gleichermassen bekannt sind die politischen Massnahmen, um Verfehlungen und Benachteiligungen zu begegnen, welche zum Teil auf die Nähe des Tessins zu Italien zurückzuführen sind. In dieser Hinsicht haben sich die Tessiner Grossräte – spätestens ab dem Frühjahr 2016 – dafür eingesetzt, Fälle von "assistiertem Suizid" in ihrem Kanton aufzudecken. So gelang es ihnen, ausländische Gesellschaften und Personen an ihrer Tätigkeit im sanitären Bereich zu hindern, denn diese übten diese Tätigkeiten ohne die notwendige Ausbildung, ohne Transparenz in Bezug auf die Anzahl Suizide, die Modalitäten und die sich daraus ergebenden Einnahmen sowie ohne Information bezüglich Nationalität der verstorbenen Personen und Sitz ihrer Gesellschaften oder Vereine (siehe Vorstösse der Tessiner Grossräte Ghisletta, Dadò und Rückert, letzterer vom 6. Mai 2016), etc. aus. Dabei konzentrierten sich die Grossräte insbesondere auf den Verein Liberty Life, deren Inhaberin Ende 2015 die Betriebsbewilligung durch den Tessiner Staatsrat entzogen worden war. Die betreffende Person verlegte in der Folge den Sitz ihres Vereins, der heute den Namen "Nuovi Orizzonti" trägt, von Biasca (TI) nach Cama (GR). Aus dem Handelsregister gehen wiederholte Liquidationen und Neugründungen der besagten Gesellschaft hervor, wobei die letzte am 06.09.2016 vorgenommen wurde. Die Inhaberin hat anscheinend noch nie eine Betriebsbewilligung für Graubünden beantragt. Dieser Sachverhalt lässt darauf schliessen, dass in diesem Verein andere qualifizierte Personen von zweifelhafter Kompetenz und Persönlichkeit (wie festgestellt werden konnte) tätig sind, die über eine vom Kanton Graubünden ausgestellte Bewilligung verfügen.

Mit dem Zweck, der Ausbreitung eines Phänomens in unserem Kanton (im Tessin wurden bereits entsprechende Massnahmen ergriffen) entgegenzuwirken, welches sowohl hinsichtlich der Prozedur (Illegalität), als auch bezüglich der Menschenwürde (Räumlichkeiten, Methoden, fragwürdige Personen) und des einfachen oder illegalen Verdienstes (zu hohe Summen angesichts der Leistung) für Verstösse anfällig ist, unterbreite ich der Regierung folgende Fragen:

1. Hat die Regierung Kenntnis von einem Netzwerk von Gesundheitsfachleuten, welche mehr oder weniger unrechtmässig im Moesano tätig sind?

2. Verfügt der Kanton Graubünden über ein Programm zur Kontrolle von Ausbildung und Qualität der von Freiberuflern erbrachten ärztlichen und pflegerischen Leistungen, insbesondere jener aus dem Ausland?

3. Über welche beruflichen Kompetenzen müssen die Personen verfügen, welche den "assistierten Suizid" praktizieren, da diese Tätigkeit ein bestimmtes Mass an Betreuung erfordert?

4. Haben die Personen, welche im Kanton Graubünden den "assistierten Suizid" praktizieren, Protokolle zu befolgen, welche den Richtlinien der Zentralen Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften entsprechen?

5. Wer kommt für die Spesen (Polizei, Ärzte, Dokumentation) für von ausserhalb kommende Personen (Ausland, andere Kantone) auf?

6. Welche Informationen sollen die Gemeinden hierzu erhalten?

Chur, 7. Dezember 2016

Noi-Togni, Della Vedova, Atanes, Burkhardt, Crameri, Deplazes, Dermont, Joos, Michael (Castasegna), Monigatti, Papa, Zanetti, Derungs, Lombardi, Wellig

Antwort der Regierung

Gemäss Art. 10 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV; SR 101) hat jeder Mensch das Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit. Die Antwort auf die Frage, inwieweit zum Recht auf Leben auch das Recht gehört, über seinen eigenen Tod selbst bestimmen zu können, hängt neben den rechtlichen Aspekten von der ethischen und religiösen Grundhaltung jeder einzelnen Person ab. Die religiös-ethische Beurteilung der Sterbehilfe und Sterbebegleitung ist ein höchstpersönlicher, von den Umständen des Einzelfalles abhängiger Entscheid. Die Regierung erachtet sich entsprechend nicht als legitimiert, eine religiös-ethische Beurteilung der Sterbehilfe und Sterbebegleitung vorzunehmen.

Bei der rechtlichen Beurteilung ist zu unterscheiden, ob es sich um eine direkte aktive, eine indirekte aktive oder eine passive Sterbehilfe handelt. Die direkte aktive Sterbehilfe (gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines anderen Menschen) ist gemäss Art. 111 (vorsätzliche Tötung), Art. 113 (Totschlag) oder Art. 114 (Tötung auf Verlangen) des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0) strafbar. Dagegen sind die indirekte aktive (zur Linderung von Leiden werden Mittel eingesetzt, welche als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können) und die passive Sterbehilfe (Verzicht auf die Aufnahme oder den Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen) im Gesetz nicht geregelt. Sie gelten grundsätzlich als erlaubt. Nach Art. 115 StGB wird bestraft, wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet.

Bei begleiteten Suiziden handelt es sich um aussergewöhnliche Todesfälle, die der Staatsanwaltschaft gemeldet werden müssen. Diese führt im Anschluss an die Meldung ein Verfahren zur Prüfung der Frage, ob ein strafbares Verhalten einer beteiligten Person vorliegt.

Beantwortung der Fragen:

1. Der Regierung sind keine Netzwerke von Gesundheitsfachpersonen bekannt, die Sterbehilfe im Misox anbieten. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass das Anbieten indirekter oder passiver Sterbehilfe keiner Bewilligung bedarf.

2. Nein. Gemäss Art. 58 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) in Verbindung mit Art. 77 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) ist die Qualitätssicherung in der Verantwortung der Leistungserbringer oder deren Verbände. Die Modalitäten der Durchführung werden in Verträgen mit den Versicherern oder deren Verbänden geregelt.

Die eidgenössischen und kantonalen gesundheitspolizeilichen oder qualitätssichernden Vorgaben haben sowohl schweizerische wie auch ausländische Staatsangehörige zu erfüllen.

Aus rechtlicher Sicht stellen die indirekte aktive oder die passive Sterbehilfe keine pflegerischen Leistungen im Sinne der einschlägigen eidgenössischen oder kantonalen Gesetzgebung dar. Allenfalls ist die Sterbehilfe als Betreuung beziehungsweise als Begleitung zu qualifizieren, die ebenfalls weder der einschlägigen eidgenössischen oder kantonalen Gesetzgebung unterliegt. Entsprechend unterstehen diese Gesundheitsfachpersonen nicht der entsprechenden Gesetzgebung.

Das Gesundheitsamt schreitet bei Kenntnis von Verstössen gegen die Gesundheitsgesetzgebung gegen die fehlbaren Personen ein.

3. Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben, über welche Ausbildung eine Person verfügen muss, die indirekte aktive oder passive Sterbehilfe anbietet.

4. Da es keine gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der beruflichen Voraussetzungen und der Berufspflichten der Anbieter indirekter aktiver oder passiver Sterbehilfe gibt, können für diese Anbieter die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften nicht für anwendbar erklärt werden.

5. Die Kosten für ein von der Staatsanwaltschaft infolge Sterbehilfe eröffnetes Verfahren gehen bei der Einstellung des Verfahrens aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung des Kantonsgerichts in der Regel zu Lasten der Staatskasse (KGer vom 20. Juli 2011 i.S. J.N.). Der Begriff der Verfahrenskosten umfasst alle Kosten, die zur Deckung des Aufwands und den Auslagen im konkreten Straffall anfallen (Art. 422 Schweizerische Strafprozessordnung, StPO; SR 312.0).

6. Aufgrund der Tatsache, dass die Gemeinden weder im gesundheitspolizeilichen noch im strafrechtlichen Verfahren Parteien sind, ist eine Weitergabe von Informationen bezüglich Sterbehilfe auf ihrem Gebiet sowohl aus prozessrechtlicher wie auch aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht zulässig.

22. Februar 2017