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Session: 19.04.2017

Im Kanton Graubünden wurden in diesem Jahr allein in den Monaten Januar und Februar 30 Schafe in unmittelbarer Nähe von Ställen und innerhalb von Weidezäunen durch Wölfe gerissen. Aus dem Bericht „Wölfe im Kanton Graubünden 2016“ geht hervor, dass im gesamten Vorjahr 55 Schafrisse zu verzeichnen waren. Die jüngsten Vorfälle, bei denen Wölfe in Ställe eingedrungen oder in Gehege gelangt sind, lassen Zweifel über die Wirksamkeit des bisherigen Herdenschutzes aufkommen. Für die Tierhalter ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie sich bei den Herdenschutzmassnahmen auf die Empfehlungen der Behörden verlassen können. Gerade für Betriebe mit wenigen Schafen fragt man sich, ob der Zusatzaufwand für einen wirkungsvollen Herdenschutz in Kauf genommen werden soll oder die Aufgabe der Schafhaltung eine Alternative darstellt. Fraglich ist auch, welche Auswirkungen das vermehrte Auftreten von Grossraubtieren auf die übrigen Tierhalter (Ziegen, Rindtiere etc.) hat.

Das Bundesrecht sieht bei der Beurteilung von Widerhandlungen gegen die Bundesgesetzgebung eine besondere Rücksichtnahme zugunsten des Einsatzzweckes von Herdenschutzhunden vor, gegen Herdenschutzhundebesitzer nicht unnötige Strafverfahren eröffnen zu müssen. Der Kanton Graubünden kennt eine solche Regelung nicht, was zu Verfahren gegen Herdenschutzhundehalter wegen Widerhandlungen gegen die kantonale Gesetzgebung (namentlich das Veterinärgesetz und die Jagdgesetzgebung) führen kann. Derartige Strafverfahren sind für die Betroffenen sehr umständlich und ärgerlich, weshalb sich die Frage stellt, ob der besonderen Situation von Herdenschutzhunden und namentlich deren Einsatzzweck in der kantonalen Gesetzgebung Rechnung zu tragen ist.

Der Wolf ist ein auf nationaler Ebene geschütztes Tier, weshalb auf kantonaler Ebene einzig die Auswirkungen transparent gemacht werden können. Die Unterzeichnenden verlangen von der Regierung, dass sie ausführlich und umfassend Stellung nimmt zu den Kosten, welche der Wolf im Kanton Graubünden (inkl. Kosten, welche der Bund übernimmt) verursacht, sowie zur Wirksamkeit des Herdenschutzes. Oft dürfte zudem der Wildhut bekannt sein, ob und wo sich in einer Region ein Wolf aufhält. Eine institutionalisierte Warnung der Tierhalter bei Auftauchen eines Wolfes in der Region gibt es bisher nicht. Eine solche wäre aber sinnvoll, damit sich die Tierhalter rechtzeitig auf die Gefahren, welche von Wölfen ausgehen, vorbereiten und die erforderlichen Massnahmen ergreifen können.

Die Unterzeichnenden möchten daher von der Regierung Folgendes wissen:

1. Welche Herdenschutzmassnahmen werden in Graubünden ergriffen, wie beurteilt die Regierung die Wirksamkeit der bisher ergriffenen Herdenschutzmassnahmen und deren Zumutbarkeit für die Tierhalter (Letzteres gerade für kleinere Betriebe)?

2. Welche Kosten inkl. Kosten, welche vom Bund übernommen werden, verursachten Wölfe in den letzten fünf Jahren (pro Jahr einzeln ausgewiesen) im Kanton Graubünden namentlich im Amt für Jagd und Fischerei, am Plantahof und im Amt für Landwirtschaft und Geoinformation (jeweils inkl. Arbeitsstunden) und allfälligen weiteren Departementen/Ämtern, namentlich auch für Ausbildung, Beratung etc.?

3. Ist die Regierung bereit, ein institutionalisiertes Warnsystem betreffend Grossraubtiere in Graubünden als Herdenschutzmassnahme einzuführen?

4. Welche Möglichkeiten gibt es heute für einen gezielten Abschuss von Wölfen und inwiefern erkennt die Regierung Anpassungsbedarf bei den gesetzlichen Grundlagen (auf nationaler und evtl. auf kantonaler Ebene)?

5. Erkennt die Regierung gesetzlichen Anpassungsbedarf, um gegen Herdenschutzhundehalter – analog der Bundesgesetzgebung – keine unnötigen Strafverfahren zu eröffnen?

Chur, 19. April 2017

Crameri, Heinz, Niggli (Samedan), Albertin, Atanes, Berther (Disentis/Mustér), Bleiker, Blumenthal, Brandenburger, Bucher-Brini, Burkhardt, Caduff, Caluori, Casanova (Ilanz), Casty, Cavegn, Clalüna, Danuser, Darms-Landolt, Davaz, Della Vedova, Dermont, Dosch, Epp, Fasani, Felix (Scuol), Florin-Caluori, Geisseler, Giacomelli, Grass, Hitz-Rusch, Hug, Jeker, Jenny, Kasper, Koch (Tamins), Komminoth-Elmer, Kunfermann, Kunz (Fläsch), Lamprecht, Lorez-Meuli, Märchy-Caduff, Mathis, Michael (Donat), Monigatti, Müller, Nay, Niederer, Niggli-Mathis (Grüsch), Noi-Togni, Papa, Pedrini, Salis, Schneider, Schutz, Stiffler (Davos Platz), Thomann-Frank, Tomaschett (Breil), Tomaschett-Berther (Trun), Toutsch, Valär, Weber, Widmer-Spreiter, Zanetti, Berther (Segnas), Cantieni, Gugelmann, Lombardi, Pfister, Spreiter

Antwort der Regierung

Frage 1: Es sind derzeit zwei Arten von Herdenschutzmassnahmen möglich. Als effektive Massnahme gilt der Einsatz von Herdenschutzhunden (HSH). Als Grundschutz gelten elektrifizierte Weidenetze (Typ Flexinet, 90 cm hoch, geschlossen elektrifiziert). Ein Zaun mit min. vier Litzen (unterste max. 15 cm, oberste min. 90 cm über Boden) wird dem Weidenetz gleichgestellt.

Grundsätzlich ist die Wirksamkeit beider Massnahmen anerkannt. Sie werden empfohlen und angewandt. In der Praxis ist die Wirksamkeit aber abhängig von den natürlichen Gegebenheiten (z.B. Topographie und Verbuschung der Weide), von der Lernfähigkeit der Grossraubtiere und von weiteren vielen Einflussfaktoren wie Herdengrösse, Herdenmanagement, Qualität der HSH, Art und Umfang der Behirtung etc. Deshalb soll in jedem Fall die Beratung konsultiert werden.

Die Zumutbarkeit ist vor allem betreffend Entschädigung von Rissen und Tierschutz von Relevanz. Aufgrund des Wildtiermonitorings hält das Amt für Jagd und Fischerei (AJF) fest, dass in Graubünden jederzeit und überall mit Wölfen zu rechnen ist. Davon ist aber nicht abzuleiten, dass im Kanton überall auf jedem Betrieb ständig Schutzmassnahmen zu installieren wären. Denn viele Wölfe fallen nicht mit Rissen an Nutztieren auf, während bisher wenige Individuen (z.B. Wolf M75) ein aussergewöhnliches, unvorhersehbares Verhalten zeigten. Auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) gilt das geschlossene elektrifizierte Einzäunen, namentlich nach einem erfolgten Riss oder wenn weitere Risse zu erwarten sind, als zumutbar. Diese Massnahme ist umgehend umsetzbar. Im Sömmerungsgebiet mit üblicherweise freiem Weidegang ist die Zumutbarkeit sehr unterschiedlich zu beurteilen. Aufgrund der speziellen Herausforderungen wird jeder Sömmerungsbetrieb gesondert abgeklärt und individuell beraten. Allgemeine Aussagen sind nicht möglich – so sind weder HSH noch Zäune in jedem Fall als einsetz- und somit zumutbar zu erachten. Anzumerken ist, dass die Implementierung von HSH i.d.R. ein bis zwei Jahre in Anspruch nimmt. Das kurzfristige Einzäunen nach Rissen hingegen ist, soweit es das Gebiet und die Lage zulässt und damit auch zumutbar erscheint, umgehend möglich.

Frage 2: Kosten in Schweizer Franken für Personal, Material, Spesen und beim AJF, zudem für Rissentschädigungen nach Jahren und Ämtern

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Frage 3: Ein institutionalisiertes Warnsystem würde sich grundsätzlich einrichten lassen. Neben dem nicht unterschätzbaren Aufwand ist aber festzuhalten, dass sich die einmal bekannte Präsenz eines Wolfs oder Bären auf privater Basis erfahrungsgemäss sehr schnell verbreitet. Zudem können Wolf und Bär innert kurzer Zeit grosse Distanzen zurücklegen. Dieser grosse Aktionsradius setzt Warnsystemen Grenzen, und Betriebe könnten sich aufgrund einer Meldung in einem entfernten Gebiet (ebenso wie bei einer nicht erfolgten Meldung) in falscher Sicherheit wiegen. Ausserdem dürfte ein institutionalisiertes Warnsystem nicht dazu verleiten, bei einer Meldung jeweils nur eine kurzfristige Massnahme (Dislozieren, Einstallen, persönliche Anwesenheit) anstatt einer allenfalls nötigen, nachhaltigen Schutzmassnahme zu ergreifen. Trotzdem wäre es wichtig, wenn Tierhaltende und die Hirtschaft eine zusätzliche Information zur Präsenz von Grossraubtieren hätten. Der Kanton prüft deshalb die Einsatztauglichkeit von Herdenschutz-Warnsystemen, wobei Resultate noch offen sind.

Frage 4: Derzeit können die Kantone in zwei Fällen den Abschuss einzelner Wölfe verfügen: bei erheblicher Gefährdung von Menschen und bei erheblichen Schäden an Nutztieren. Die Entwicklung erfordert dringend Korrekturen bei den gesetzlich vorgesehenen Eingriffsmöglichkeiten. Die Kantone brauchen mehr Spielraum bei notorisch schadenverursachenden und verhaltensauffälligen Wölfen und für regulative Eingriffe bei Wolfsrudeln.

Frage 5: Es besteht kein Anpassungsbedarf bei den kantonalen gesetzlichen Grundlagen. Aufgrund des Bundesrechts müssen Vorfälle mit Hunden beim Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit gemeldet werden, und zwar durch verschiedene Personen (Tierärzte, Ärzte etc.), unabhängig des Einsatzzwecks des Hundes. Diese Fälle werden im Amt, teils unter Zuhilfenahme der Polizei, abgeklärt. Sind offizielle HSH involviert, wird der Herdenschutzbeauftragte des Plantahofs beigezogen. In ca. der Hälfte aller Vorfälle mit Hunden erfolgt Strafanzeige. Im Strafverfahren wird untersucht, ob sich die/der Hundehaltende eine Sorgfaltspflichtverletzung vorwerfen lassen muss. Dabei werden alle Umstände im Einzelfall berücksichtigt, so auch der Einsatzzweck des Hundes. Der Bund sieht im Übrigen im Strafverfahren keine Ausnahmen betreffend HSH vor.

22. Juni 2017