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Stadt, Land, Job

Die berufliche Integration von Geflüchteten ist selten gradlinig. Jobcoach Ines Hausser begleitet Menschen auf diesem Weg und kennt so manche ortsspezifische Herausforderung

Nicht selten beginnt ein Erstgespräch bei Ines Hausser mit einem Puzzle. «Ich versuche, die familiäre Situation, gesundheitliche Themen und die berufliche Ausgangslage zusammenzubringen.» Als Jobcoach begleitet sie anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen beim Fussfassen im Schweizer Arbeitsmarkt. Jeder Fall ist anders – aber oft geprägt von Unsicherheiten, offenen Fragen und bisweilen falschen Erwartungen. «Es ist herausfordernd, wenn jemand zwar motiviert ist, aber grundlegende Kompetenzen fehlen. Dann muss ich erklären, warum ein direkter Berufseinstieg noch nicht realistisch ist, erstmal Qualifikationen erworben werden müssen», sagt sie. Umgekehrt gäbe es Menschen, die in ihrer Heimat eine Anwaltsprüfung abgelegt hätten und nun praktisch bei null anfangen müssten. «Das ist nicht nur beruflich schwierig, sondern oft auch menschlich eine anspruchsvolle Situation.»

Das Wichtigste für eine erfolgreiche berufliche Integration sei, den Weg transparent aufzuzeigen. «Wenn jemand keinen Plan hat, keine Perspektive, ist das schwer auszuhalten. Ziele, auch kleine Meilensteine machen Mut.» Deshalb begleitet Hausser ihre Klientinnen und Klienten zu Bewerbungsgesprächen oder beim Verfassen von Lebensläufen. Damit würden sie sich selber wieder als handlungsfähig erleben und dies sei sehr wichtig, erklärt Hausser

Bemerkenswerte Flexibilität
Selbst der Wohnort kann Teil des Puzzlespiels sein. Er entscheidet zwar nicht allein über Erfolg oder Misserfolg, prägt den Alltag aber doch so weit, dass ihn Hausser miteinbezieht. Es komme vor, dass sie für eine Klientin oder einen Klienten eine ideale Lehrstelle oder eine passende Arbeitsstelle finde, diese aber weit weg vom Wohnort liege. «Umziehen ist nicht einfach», sagt Hausser. Aus familiären Gründen oder weil bezahlbarer Wohnraum knapp ist und es Geflüchtete überhaupt schwer hätten, eine Wohnung zu finden. «Sie nehmen lange Arbeitswege in solchen Fällen bemerkenswert klaglos in Kauf». Flexibilität sei oft auch gefragt, weil die meisten Aus- und Weiterbildungsmassnahmen in und um Chur angesiedelt sind und bisweilen abends stattfinden. «Wer nicht hier wohnt, braucht viel Zeit oder kann im schlimmsten Fall gar nicht teilnehmen», so Hausser. «In solchen Fällen müssen wir ein Puzzleteil halt ersetzen oder passend machen», erzählt sie schmunzelnd. Für Lernende verfüge man aber glücklicherweise über Wohnplätze im Bündner Lehrlingsheim in Chur.

Chancenreiche Nachbarschaft
Während ein Wohnort in und um Chur hilft, bringt das Dorfleben andere Qualitäten mit sich. Gerade dort erlebe sie immer wieder, wie stark ein engmaschiges Beziehungsgeflecht helfe, erzählt Hausser. «Eben erst kam ein Klient, der in Davos in der KI-Datenanalyse arbeiten wollte, dank einer Weiterempfehlung seines Nachbarn schneller ins Gespräch mit dem gewünschten Arbeitgeber.» Solche Momente zeigen deutlich auf, wie sehr Integration Beziehungsarbeit ist – in der Stadt genauso wie auf dem Land. Hausser selbst verfüge in abgelegenen Regionen über weniger persönliche Kontakte zu möglichen Arbeitgebenden und Lehrbetrieben als in Chur, «wir Jobcoaches tauschen uns aber aus und profitieren davon, dass wir selbst unterschiedliche Wohnorte, Hintergründe und Netzwerke mitbringen.»

Ines Hausser - Jobcoach Fachstelle Integration

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Vorarlberger Seitental – ländlich, abgeschieden, mit Skigebiet. Um zur Arbeit zu gelangen, brauchte es damals ein Auto und viel Zeit. Heute lebe ich im Grossraum Chur und geniesse die gute Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr. Die Erfahrung von einem eng vernetzten Dorf prägt mich allerdings bis heute: Man hilft sich, kennt sich und bleibt im Austausch.

Mein beruflicher Weg begann mit einer Ausbildung zur Chemielaborantin. Nach einer Familienphase kehrte ich in einer leitenden Funktion im Facility Management zurück. In dieser Zeit wuchs mein Interesse an der Zusammenarbeit mit Menschen, weshalb ich mich zum diplomierten Coach weiterbildete. Später absolvierte ich auch noch ein Studium in Businessmanagement und wechselte schliesslich in den HR-Bereich. Das eher distanzierte und zahlengeprägte Menschenbild in diesem Berufszweig entsprach allerdings nicht meiner Vorstellung vom Umgang mit Menschen.

Die grossen Fluchtbewegungen 2015/16 eröffneten mir neue Perspektiven: Ich konnte die Betriebsleitung eines Asylzentrums übernehmen – eine Tätigkeit, die mich gleichermassen forderte wie bereicherte. Der direkte Kontakt mit Menschen, sie in einer schwierigen Lebenslage zu begleiten und zu unterstützen – das war der Moment, der mir klar machte, dass das mein Weg ist. Ich bildete mich in interkulturellen Kompetenzen weiter und leitete ein weiteres Zentrum. Die Führungsrollen bedeuteten mir dabei nie so viel wie die Verantwortung gegenüber einzelnen Menschen und ihren Geschichten.

Seit gut zwei Jahren arbeite ich nun in der Fachstelle Integration als Jobcoach mit dem Fokus auf hochqualifizierte anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen. Ich begleite diese Klientinnen und Klienten mit Respekt für das, was jede und jeder Einzelne mitbringt. Es beeindruckt mich immer wieder, mit wie viel Geduld, Ausdauer und Motivation sie ihre Ziele verfolgen. Diese positive Energie überträgt sich auf mich – ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit.

«Führungsrollen bedeuteten mir nie so viel wie die Verantwortung gegenüber einzelne Menschen und ihren Geschichten.»


Text: Philipp Grünenfelder; Illustration:Lorena Paterlini