Christa Schmid, Leiterin Sprachtreff der Stadtbibliothek Chur. (Bild Nicola Pitaro)
Wie eine engagierte Bibliothekarin und ihr Team in Chur Woche für Woche einen Raum schaffen, in dem Menschen sich begegnen und über sich hinauswachsen
Dienstagnachmittag, kurz vor zwei. In der Stadtbibliothek Chur herrscht eine geschäftige, aber ruhige Erwartung. Stühle werden gerückt, Stimmen flüstern durcheinander, jemand lacht verhalten, man begrüsst sich herzlich, da und dort auch mal eine Umarmung in der Wiedersehensfreude. Christa Schmid, die Leiterin des Sprachtreffs, begrüsst alle persönlich. Sie hat ein Lächeln im Gesicht, die Augen wach. Sie kennt viele der Anwesenden beim Namen. Sie ist Gastgeberin, Impulsgeberin, Zuhörerin – und gemeinsam mit ihrem Team das Herz des Sprachtreffs.
«Ich wollte, dass hier mehr passiert»
Christa Schmid ist nicht zufällig da gelandet, wo sie heute wirkt. Die ausgebildete Primarlehrerin und Bibliothekarin mit interkulturellem Gespür trat vor rund sieben Jahren ihre Stelle in der Stadtbibliothek Chur an. Schon damals schlummerte die Idee eines Sprachtreffs in den Köpfen der Verantwortlichen der Bibliothek. Schmid nahm sie auf, formte sie, füllte sie mit Leben.
Aber nicht einfach irgendwie: Sie reiste nach Baden, nach St. Gallen, schaute sich digitale Formate in Hamburg an und brachte das Beste mit zurück nach Chur. «Ich habe bewusst geschaut: Was funktioniert? Was nicht? Und dann haben wir es einfach ausprobiert.» Entstanden ist ein Format, das geprägt ist von Offenheit, Ernsthaftigkeit und Herzlichkeit. Und von einer Gastgeberin, der man sofort glaubt, wenn sie sagt: «Ich mache das sehr gern.»
Begegnung statt Belehrung
Schmid ist keine Animateurin. Sie ist jemand, der mit wachem Blick beobachtet, was zwischen Menschen geschieht. «Es geht nicht nur um Sprache», sagt sie, «es geht um die Begegnung.» Denn wo sich ein Kolumbianer mit Masterabschluss mit einer Ukrainerin am Anfang ihres Weges austauscht, wo ein Mann aus dem Irak nach Jahren in der Schweiz den Mut findet, endlich Deutsch zu sprechen, da wird Sprache zum Türöffner für Zugehörigkeit. Deutsch ist hier mehr Medium als Ziel. «Die Begegnung ist zentral», betont Schmid. Und manchmal, da spricht auch ein Lächeln oder ein pantomimisches Zeichen mehr als Worte.
Die Herausforderung dabei: Die Sprachniveaus der Teilnehmenden reichen von absoluten Anfängern mit Niveau A0 bis hin zu fast sprachlicher Sicherheit auf dem Level C1. «Diesen Spagat kann man nicht immer machen», sagt Schmid offen. Und will es auch gar nicht. Denn genau in dieser Durchmischung liegt eine Stärke.
Und genau dafür schafft Schmid Woche für Woche den Rahmen. Mit Themen, die leicht erscheinen wie Wetter, Haustiere, Kleidung und doch Türen öffnen. Oder mit Fragen, die tiefer gehen: «Was ist euch in der Schweiz aufgefallen?», oder «Wie erlebt ihr politische Beteiligung?» Und immer wieder: Spiele, Lachen, Zuhören. Christa Schmid will nicht nur reden, sie will Verbindung schaffen. Oft entstehen aus den Treffen kleine Gemeinschaften, manchmal sogar Freundschaften. Einige treffen sich regelmässig auf einen Kaffee danach. Andere nutzen die Gelegenheit, um einfach einmal zuzuhören, den Mut zu fassen, vielleicht beim nächsten Mal selbst etwas zu sagen. Langsam aktiv werden in deutscher Sprache.
Mit Umsicht und Haltung
Dabei hat sie auch klare Werte. Pünktlichkeit zum Beispiel. «Ich sage das offen: Zu spät kommen ist unhöflich», betont sie. Nicht weil sie dogmatisch ist, sondern weil sie der Gruppe Wertschätzung entgegenbringen will. Schmid traut den Teilnehmenden etwas zu und das spüren sie.
Sie kennt die Hürden, die Sprache mit sich bringt. «Viele können nicht zeigen, wer sie wirklich sind, weil ihnen die sprachlichen Finessen fehlen», sagt sie. Humor etwa, der so sehr an Sprache hängt. Oder kluge Gedanken, die ungesagt bleiben müssen, weil die Worte fehlen. Sie sagt das ohne Pathos, aber mit dem spürbaren Wunsch, dass der Sprachtreff ein Ort sein möge, an dem wenigstens ein Teil der Persönlichkeit sichtbar wird.
Mit einem Lächeln mehr bewirken
Die Geschichten, die sie erzählt, sind nicht laut. Kein «Aha-Moment», kein Fernsehformat. Aber dafür Geschichten, die bleiben. Wie die junge Frau aus Eritrea, die ganz am Anfang dabei war und heute eine Ausbildung abgeschlossen hat und arbeitet. Oder die Ukrainerin, deren Humor auch mit wenigen Worten ansteckt und die Gruppe trägt.
Schmid freut sich über diese Entwicklungen, auch wenn es manchmal heisst, Abschied zu nehmen. «Es ist ein gutes Zeichen, wenn jemand nicht mehr kommt, weil er oder sie jetzt einen Job hat.» Und manchmal trifft sie ehemalige Teilnehmende in der Stadt, hört ein herzliches «Entschuldigung, dass ich nicht mehr komme!» und weiss: Es ist gut so.
Ein Raum, der offensteht
Christa Schmid denkt den Sprachtreff weiter. Nicht nur als Ort des Sprechens, sondern als Einladung in die Stadtbibliothek und darüber hinaus. Viele entdecken hier erst, was eine Bibliothek sein kann: ein Ort des Wissens, ein Ort zum Lernen, zum Verweilen, zum Zusammensein, zum Durchatmen. Ein Ort, an dem Kinder Spiele entdecken oder sich in der Spielecke verweilen können. Ein Ort, der nichts kostet, aber viel gibt. «Ich finde es schön, wenn ich Menschen aus dem Sprachtreff später in der Bibliothek sehe», sagt sie.
Der Sprachtreff ist in seiner Grundidee einfach und in seiner Umsetzung anspruchsvoll. Christa Schmid gelingt beides. Nicht zuletzt darum, weil sie sich wirklich interessiert für Menschen, für ihre Geschichten, für das, was zwischen den Zeilen mitschwingt.
Und so ist sie jeden Dienstag wieder bereit, mit wachem Blick und einem Lächeln, das nicht bloss höflich ist, sondern ein echtes Willkommen meint, sich auf neue Begegnungen einzulassen.