Risikofaktoren
Finden Sie nachfolgend mögliche Risikofaktoren in den Bereichen familiäres Umfeld, erweitertes Umfeld, Eltern, Eltern-Kind-Interaktion und Kind.
Familiäres Umfeld
Mangelnde Unterstützung
Bei geringer sozialer Unterstützung fehlt die Möglichkeit, durch materielle und praktische Unterstützung Entlastung sowie durch gemeinsame Aktivitäten Zugehörigkeit zu erfahren und es fehlt der emotionale Beistand über den Austausch in Gesprächen.
Verlust des sozialen/kulturellen Netzes
Der Verlust der Zugehörigkeit zu einer sozialen oder kulturellen Gruppe kann mit weniger sozialer Unterstützung und mit einem Identitäts-, Orientierungs- und Zugehörigkeitsverlust einhergehen.
Schwierige Familiensituation
Familien mit besonderen Herausforderungen wie Teenager-Eltern, alleinerziehenden Elternteilen oder kranken Geschwistern sind stärker belastet, was sich bei länger dauernden Belastungen ungünstig auf die kindliche Entwicklung auswirken kann.
Schwierige finanzielle Situation
Sie gefährdet die Entwicklung in vielerlei Hinsicht, z.B. durch fehlende Möglichkeiten intellektueller, sportlicher oder musischer Förderung, durch beengte Wohnverhältnisse oder ungesunde Ernährung.
Schwierige berufliche Situation
Eine hohe berufliche Belastung der Eltern, wie Stress, Jobverlust oder die Angst davor, können sich negativ auf Kinder auswirken. Insbesondere bei Kindern ab 5 Jahren kann der elterliche Stress zu einer niedrigeren Stresstoleranz und eingeschränkter Impulskontrolle der Eltern führen, wodurch Konflikte in der Familie schneller eskalieren.
Schicksalsschläge im nahen familiären Umfeld
Das sind z.B. Suizid oder Verlust eines Familienmitglieds oder Fluchterfahrung. Eine Anhäufung von Schicksalsschlägen wirkt sich im Alter von 5-18 Jahren besonders ungünstig aus.
Delinquenz und Kriminalität einer Bezugsperson
Eine Haftstrafe der Eltern stellt eine Belastung dar, die bei Kindern unter 4 Jahren oft indirekt über psychische und finanzielle Nöte der verbleibenden Bezugspersonen wirkt. Bei älteren Kindern und Jugendlichen (5-18 Jahre) kommt zusätzlich die Stigmatisierung verstärkt hinzu. Für Jugendliche (13-18 Jahre) kann die Inhaftierung die Identitätsfindung erschweren.
Erweitertes Umfeld
Problematische gesellschaftliche Normen
Tabuisierung von Problemen wie psychischen Erkrankungen (0-18 Jahre) erschwert die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten. Auch problematische Erziehungsstile, wie ein stark autoritärer oder ein "Laissez-faire"-Ansatz, können sich negativ auswirken.
Belastete Wohngegend
Kinder und Jugendliche (5-18 Jahre), die in armen oder von Kriminalität geprägten Gegenden leben, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Enge Wohnverhältnisse und der Kontakt mit Gewalt können ihre Entwicklung gefährden.
Eltern
Allgemeine Hinweise auf Belastungen
- Psychisch: z.B. übermässige Ängste oder depressive Verstimmung, nachlassende Leistungsfähigkeit im Beruf
- Körperlich: z.B. Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, starke Müdigkeit, übermässige körperliche Verspannungen, Kopfschmerzen, Deutliches Über- oder Untergewicht
- Sozial: z.B. Desinteresse an Austausch mit Freundinnen und Freunden sowie Paarkonflikte
Geringe Problemlösefertigkeiten
Emotionale Instabilität, Passivität, aggressives Verhalten oder rigide Erziehungsstile können auf Schwierigkeiten im Umgang mit Stress hinweisen. Auch Suchtmittelmissbrauch kann ein solcher Hinweis sein.
Psychische Erkrankung oder Traumatisierung
Unbehandelte akute psychische Erkrankungen oder traumatische Erfahrungen beeinträchtigen die elterliche Verfügbarkeit und können zu grossem Leidensdruck führen. Eine frühzeitige therapeutische Unterstützung ist entscheidend.
Suchtverhalten eines Elternteils
Das Suchtverhalten eines Elternteils, sei es in Form von Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit sowie Verhaltenssüchten wie Glücksspiel oder übermässigem Medienkonsum, hat weitreichende Folgen. Es beeinträchtigt die Verfügbarkeit des Elternteils, kann zu emotionaler Abstumpfung oder erhöhter Aggression führen und verursacht oft finanzielle Schwierigkeiten. Der Verweis auf Unterstützungs- und Behandlungsangebote ist hier essenziell.
Chronische körperliche Krankheit oder Behinderung eines Elternteils
Die Erziehungsfähigkeiten von Eltern können durch chronische Krankheiten oder Behinderungen, welche nicht immer durch äussere Hinweise ersichtlich sind, eingeschränkt sein. Auch der gesunde Elternteil kann stark in die Pflege eingebunden sein und dadurch weniger für das Kind verfügbar sein. (Medizinische) Betreuung für den betroffenen Elternteil und entlastende Angebote für den gesunden Elternteil können eine wichtige Stütze sein.
Eigene Misshandlungserfahrungen
Eltern, die in ihrer Kindheit selbst Misshandlung erlebt haben, geben diese Verhaltensmuster in Stresssituationen oft unbewusst weiter. Dies kann auch dazu führen, dass Gewalterfahrungen an die nächste Generation weitergegeben werden. Hinweise auf eigene Misshandlungserfahrungen oder eine Traumatisierung sind unspezifisch. In vertrauensvollen Beziehungen zu Fachpersonen teilen Betroffene diese Erfahrungen mitunter.
Scheidung und Trennung
Besonders lange Trennungsphasen mit hoher Eskalation und ausgeprägter psychischer und/oder physischer Partnerschaftsgewalt können zu hoher Belastung der Kinder führen.
Partnerschaftsgewalt
Bei Gewalt in der Elternbeziehung bzw. zwischen Erwachsenen in der aktuellen oder ehemaligen Paarbeziehung sind Kinder durch die Wahrnehmung der Gewalt ähnlich wie bei psychischer Misshandlung belastet. Zudem kommt es bei vorhandener Partnerschaftsgewalt oft auch zu Gewaltanwendung an Kindern. Die Hinweise bei Kindern sind jedoch unspezifisch und können ängstlich-zurückgezogenes, aber auch lautes, aggressives Verhalten umfassen.
Eltern-Kind-Interaktion
Ungeplante/unerwünschte Schwangerschaft
Bei Kleinkindern im Alter von 0-4 Jahren kann eine ungeplante Schwangerschaft es den Eltern erschweren, angemessen auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren, was sich in emotional abweisendem oder gleichgültigem Verhalten zeigen kann.
Ungünstiges Familienklima
Ein negatives Familienklima mit mangelnder Harmonie und emotionaler Wärme ist ein bestätigtes Risiko. Auch extrem autoritäre oder übermässig nachsichtige Erziehungsstile sowie die Übernahme elterlicher Aufgaben durch Kinder (Parentifizierung) können die Entwicklung negativ beeinflussen.
Mangelnde Konstanz in der Betreuung
Häufig wechselnde Betreuungspersonen oder Betreuungsorte können die Einschätzung der Verlässlichkeit von Bezugspersonen erschweren. Die Toleranz der Kinder nimmt mit dem Alter zu. Bei Kindern von 0 bis 4 Jahren ist die Konstanz besonders wichtig für die Entwicklung. Für Kinder von 5 bis 12 Jahren können häufige Wechsel zwar besser verkraftet werden, die negativen Auswirkungen auf die Entwicklung können aber weiterhin bestehen. Auch Jugendliche von 13 bis 18 Jahren können unter mangelnder Konstanz leiden, selbst wenn sie bereits sehr eigenständig sind. Hier wirkt sich die Unbeständigkeit oft dann ungünstig aus, wenn in kritischen Situationen keine verlässliche und zeitnah verfügbare Bezugsperson zur Verfügung steht.
Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung
- Psychische Misshandlung: Beschimpfungen sind Hinweise, die oft nur durch direkte Beobachtung erkennbar sind.
- Körperliche Misshandlung: Bei Kindern unter vier Monaten, die sich nicht selbstständig fortbewegen, ist jegliches Hämatom (blauer Fleck) verdächtig. Bei Kindern unter vier Jahren sind Hämatome im Brust- und Rückenbereich, an den Ohren und am Hals besonders verdächtig. Bei Schulkindern (5-12 Jahre) weisen typische Verletzungsmuster, wie parallel verlaufende blaue Flecken oder Brandmale von Zigaretten, auf Misshandlung hin. Bei Jugendlichen (13-18 Jahre) tritt körperliche Misshandlung etwas seltener auf, da sie sich besser wehren können. Hinweise auf Vernachlässigung körperlicher Bedürfnisse finden sich z.B. bei einem fehlenden, von den Eltern getrennten Schlafplatz oder wenn bei suizidalem Verhalten keine fachliche Unterstützung aufgesucht wird.
- Sexuelle Misshandlung: Wenn Kinder bzw. Jugendliche von sich aus Hinweise auf sexuelle Gewalt äussern, sollte dieses Anvertrauen ernst genommen und dem Kind genügend Zeit gewidmet werden. Die Hinweise sollten möglichst so entgegengenommen und dokumentiert werden, wie sie vom Kind geäussert wurden. Suggestivfragen und Versprechungen, die nicht gehalten werden können, sollten vermieden werden. Achtung: Sexuelle Gewalterfahrungen können nur selten durch körperliche Untersuchungen belegt werden.
- Vernachlässigung: Äussert sich bei allen Altersstufen in nicht witterungsbeständiger Kleidung, einem fehlenden Ermöglichen eines Tag-Nacht-Rhythmus oder der Verweigerung von Vorsorgeuntersuchungen, Abklärungen und Therapien. Bei Kleinkindern (0-4 Jahre) ist auf mangelnde Hygiene (z.B. entzündende Rötungen oder getrockneter Kot im Windelbereich) und unsichere Umgebungen zu achten. Bei Kindern und Jugendlichen (5-18 Jahre) können unzureichende Aufsicht (z.B. bei Medienkonsum) sowie emotionale Vernachlässigung, die sich in mangelnder Wärme und fehlenden Strukturen zeigt, Hinweise sein.
Kind
Allgemeine Hinweise auf Belastungen
Belastungen können sich bei Kleinkindern (0-4 Jahre) in apathischem oder zurückgezogenem Verhalten sowie fehlender Freude am Spielen zeigen. Unregelmässiges, wenig ausgeprägtes Trinken mit zu wenig Gewichtszunahme kann für Säuglinge ein wichtiger Hinweis auf Belastungen sein. Bei Schulkindern (5-12 Jahre) können zusätzlich aggressives Verhalten und soziale Auffälligkeiten auftreten. Bei Jugendlichen (13-18 Jahre) sind ein deutlicher Leistungsabfall in der Schule, häufige Fehlzeiten, Sucht-, Selbstverletzungs- und Suizidverhalten sowie eine Radikalisierung mögliche Warnsignale. Deutliches Über- oder Untergewicht ist in allen Altersstufen ein Warnsignal.
Chronische Krankheit oder Behinderung
Angeborene oder früh erworbene Krankheiten und Behinderungen können die Entwicklung einschränken. Starke Verzögerungen in der Entwicklung können erste Hinweise sein.
Psychische und soziale Auffälligkeiten des Kindes
- 0-4 Jahre: Bei Säuglingen sind Regulationsstörungen (Schlaf, Essen) typisch. Ab zwei Jahren treten Bindungs- und emotionale Störungen in den Vordergrund. Eingeschränkte Sprach- und Intelligenzentwicklung oder ein distanzloses Verhalten können Hinweise für eine vorhandene Gefährdung sein.
- 5-12 Jahre: ADHS, affektive Störungen und Verhaltensstörungen sind häufig. Auffälliges Sozialverhalten, wie Aggression oder auch übertriebene Freundlichkeit Fremden gegenüber, kann auf Belastungen hinweisen.
- 13-18 Jahre: Im Jugendalter treten vermehrt affektive Störungen, Substanzmissbrauch, Verhaltenssüchte, Essstörungen und selbstverletzendes Verhalten auf. Auffälliges Sozialverhalten äussert sich öfter auch in Delinquenz.
Negative Selbstwahrnehmung und geringe Emotionskontrolle
Geringe Emotionskontrolle und eine negative Selbstwahrnehmung (13-18 Jahre) sind belegte Risikofaktoren für eine ungünstige Entwicklung.
Leicht reizbares/teilnahmsloses Temperament
Einige Kinder reagieren rascher auf negative Reize bzw. sind weniger zugänglich für positive Signale oder sind in ihrem Schlaf-Wach-Rhythmus unausgeglichener. Dieses Temperament ist über den Lebenslauf relativ stabil und kann zu weniger sozialen Kontakten führen.
Negative Erfahrungen in der Schule und Lehrbetrieb
Mobbing, Ausgrenzung oder negative Erfahrungen mit Lehrpersonen oder durch Gleichaltrige (5-18 Jahre) können zusätzliche Belastungen darstellen und bereits bestehende familiäre Probleme verstärken.