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«Wir wollen gewollt sein»

Layla Weiss-Yantani kennt aus ihrer psychologischen Praxis und aus eigener Erfahrung die Freuden und Leiden in binationalen Partnerschaften und interkulturellen Familienkontexten.

 

Interview: Philipp Grünenfelder

Frau Weiss, Sie sind vor 13 Jahren der Liebe wegen aus Costa Rica zu Ihrem Schweizer Partner gezogen. Ist Ihnen damals bei hiesigen Paaren etwas Bestimmtes aufgefallen?

Mein Ankommen erfolgte schrittweise. Vor der Geburt unserer ersten Tochter und dem definitiven Umzug lebten wir teilweise eine Fernbeziehung. Erst später fielen mir anhand der eigenen Familie Unterschiede auf: Ich war mir beispielsweise im grösseren Familienkreis viel mehr körperliche Nähe und Wärme gewohnt. Das konnte ich hier nur vorsichtig etablieren, etwa in der Beziehung zu meiner Schweigermutter. Heute geht das wunderbar und auch unsere Kinder haben eine sehr liebevolle Beziehung zur Grossmutter.

Mit Beziehungsfragen beschäftigen Sie sich auch beruflich …

Genau, und einer meiner Ansätze lautet auch hier: Wir brauchen alle sichere Bindungen. Wir wollen gewollt sein, einen guten Platz haben und mindestens eine nahe Bezugsperson.

Fühlten Sie sich gewollt in der ersten Zeit in der Schweiz?

Damals ging es mir wie einigen meiner Klienten oder Freundinnen. Ich hatte zwar einen liebevollen Partner und seine unterstützende Familie, ich war aber auch gerade Mutter geworden, lernte die Partnerschaft aus neuer Perspektive kennen, musste eine weitere Sprache lernen, mich in einem unbekannten Alltag zurechtfinden, berufliche Perspektiven entwickeln, etc... Das ist eine instabile Phase von grosser Verletzlichkeit und man ist stark mit sich selbst beschäftigt. Erst später stellte ich zum Beispiel fest, dass ich allein anders beurteilt wurde, als wenn mein Mann dabei war. Solche Erlebnisse signalisierten nicht gerade, dass ich unvoreingenommen «gewollt» bin.

Ist das Beispiel eine Frage der Herkunft oder nicht auch eine des Geschlechts?

Beides. Ein konkreteres Beispiel: Einmal wurde unsere Tochter plötzlich als talentierter eingestuft, nachdem die Betreuungsperson bei einer Begegnung mit meinem Mann feststellte, dass Schweizerdeutsch seine Muttersprache ist. Mein ganzer akademischer Bildungsrucksack wurde davor wohl unbewusst ausgeblendet, nur weil ich kein lupenreines Deutsch sprach. Im Familiennachzug sehe ich oft, dass es einen grossen Unterschied machen kann, wer den «Heimvorteil» geniesst. Ob ein Ausländer zu einem Schweizer nachzieht, ein Ausländer zu einem Ausländer, eine Frau zu einem Mann – oder umgekehrt … Auch Faktoren wie die Hautfarbe spielen eine Rolle.

Was bedeutet das für die Involvierten?

Verletzlich sind wir alle mehr oder weniger. Jede und jeder muss sich fragen, was sie oder er aus den Gegebenheiten machen will und kann. Es braucht Zeit und Geduld, seine angemessene Position einzunehmen, und wenn es nicht gelingt, kann das neben der eigenen Persönlichkeit eben durchaus auch an der Aufnahmegesellschaft liegen, die mit unterschiedlichen Ellen misst. Irgendwann versöhnte ich mich mit dem Gedanken, dass ich hier eine ganz andere Layla bin als noch in San José, – dass ich sogar neu lernen muss, wie man ein ÖV-Ticket löst. Ganz wichtig: Man soll sich entsprechend seiner eigenen Möglichkeiten entwickeln dürfen. Denn es ist ein Balanceakt zwischen all den inneren und äusseren Erwartungen. Und nicht alle sind so privilegiert wie ich. Je nachdem, wie und warum man hierherkommt, kann man sich besser oder schlechter auf das Neue einlassen. Man denke an Geflüchtete, die teilweise noch lange in einem blockierenden, inneren Alarmzustand gefangen sind.

Sie sprechen die Aufnahmegesellschaft an. Auch sie scheint bisweilen Verunsicherung zu spüren.

Durchaus. Alle Menschen haben in der einen oder anderen Form Angst vor Neuem, vor Unbekanntem. Aufnahmegesellschaften sind sich meiner Meinung nach aber viel zu wenig bewusst, dass die Ankommenden eben auch verunsichert und ängstlich sind. Wir müssen kontinuierlich daran arbeiten, diese Ängste abzubauen und aufeinander zuzugehen.

Welche Rolle spielen die Erwartungen der eigenen Partnerin oder des eigenen Partners?

Gerade innerhalb von binationalen Partnerschaften gibt es bisweilen stark voneinander abweichende Gewohnheiten und Erwartungshaltungen. Das bewirkt vielleicht eine gewünschte positive Spannung, kann aber auch belastend werden. Entsprechend dringlich ist hier der in allen Beziehungen angezeigte, regelmässige Perspektivenwechsel: Was ist der Hintergrund meines Partners, was sein Wertesystem, was braucht er? Tangiert das unsere Beziehung oder nur ihn oder mich selbst? Fühle ich mich trotz aller Unterschiede geborgen und sicher? Der Kern jeder funktionierenden Beziehung sind Wertschätzung und Dialog – trotz aller Unterschiede.

Und wenn die Balance nicht gelingt?

Dann sollte man gegebenenfalls externe Unterstützung suchen. Denn ist man in negativen Interaktionsmustern gefangen, kann es schwierig werden, diese selbst zu durchbrechen. Die Folge: Man entfremdet sich erst recht voneinander. Die Qualität unserer Beziehungen hat einen direkten Einfluss auf unsere psychische Gesundheit. Umso mehr, wenn unsichere Lebensumstände im Zusammenhang mit der Migration oder Flucht zusätzlich belasten und ihrerseits Einfluss auf das Beziehungsleben nehmen. Wenn die Kraft für das Durchbrechen zu gering ist, kein Verzeihen mehr möglich ist, oder sogar häusliche Gewalt ins Spiel kommt, muss man eine Beziehung beenden.

Wie ergeht es Kindern in diesem komplexen Umfeld?

Für Kinder und auch für Jugendliche sind stabile Beziehungen noch wichtiger. Einige leiden unter dem Verlust des bisherigen Umfelds und geben den Eltern die Schuld dafür, egal ob sie aus Afghanistan oder den USA zu uns kommen. Sie haben also mehrfach infrage gestellte oder sogar verlorene Beziehungen. Eltern wiederum haben wegen der Migration oft Schuldgefühle gegenüber den Kindern. Hier braucht es von allen Beteiligten Geduld und Mitgefühl. Für Kinder und Jugendliche, ist es sehr wichtig, dass sie schnell Kontakt zu Gleichaltrigen finden können. Auch brauchen sie schulische oder berufliche Zukunftsaussichten, die ihren Ressourcen gerecht werden. Sie sind unsere Zukunft.

Und wie gehen Kinder und Jugendliche mit den Herausforderungen der Eltern um?

Die Sorgen der Eltern sind auch ihre. Einige Eltern haben allerdings Angst, bei Paar- oder Familienproblemen Rat zu suchen, weil sie befürchten, dass man ihnen die Kinder wegnimmt. In extremen Situationen kann es allerdings durchaus Sinn machen, Kindern zusätzlich eine liebevolle, familienexterne Vertrauensperson zur Seite zu geben. Zum Beispiel, wenn ein Elternteil an einem Kriegs-, Folter- oder Fluchttrauma leidet und die Beziehungsfähigkeit stark beeinträchtigt ist. Für viele der angesprochenen Situationen gibt es heute glücklicherweise spezialisierte Kurse sowie Unterstützungs- und Beratungsangebote.

 

laylaweiss.ch