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Ausstellungsposter «Rätoromanisch nur als Entwurf?» als PDF

Diese Webseite ist Bestandteil der Ausstellung «Graubünden und die Bundesverfassung» im Grossratsgebäude in Chur. Lehrreiche Visualisierungen erinnern daran, was die Einführung der Bundesverfassung für Graubünden bedeutete und wie sich der Bergkanton in den jungen Schweizer Bundesstaat integrierte. Die Ausstellung ist während der August-, Oktober- und Dezembersession 2023 des Grossen Rates jeweils von 8:30 bis 12:00 Uhr und von 14:30 bis 18:00 Uhr öffentlich zugänglich.

Vergleichen Sie das abgebildete Titelblatt des rätoromanischen Exemplars der Bundesverfassung in der Kantonsbibliothek mit dem deutschen. Fällt Ihnen etwas auf? Die rätoromanische Fassung ist diejenige, die für die Abstimmung im Kanton Graubünden am 20. August 1848 auf Sursilvan übersetzt wurde; sie war Beilage der Abstimmungsunterlagen, wie sie der Grosse Rat an die Gemeinden im Bündner Oberland versandte. Deshalb heisst es nur PROJECT (Entwurf) per ina Constituziun …. nach der Annahme der Bundesverfassung sah man keinen Anlass mehr, diese nochmals zu übersetzen, zumal ja Art. 109 der neuen Bundesverfassung nur drei „Nationalsprachen“ kannte: Deutsch, Französisch und Italienisch.

Bereits 1794 war an einer ausserordentlichen Standesversammlung noch im ausgehenden Ancien Régime die Dreisprachigkeit Graubündens festgestellt worden: alle amtlichen Schriften sollten in drei Sprachen, Deutsch, Italienisch und Romanisch, publiziert werden, damit mündige Bürger sie kompetent diskutieren können. Es gelang aber bis weit ins 20. Jahrhundert nicht, dies umzusetzen, und selbst heute noch werden nicht sämtliche amtlichen Schriftenreihen in alle drei Kantonssprachen übersetzt. Im 19. Jahrhundert wurde immer wieder kontrovers diskutiert, welche amtlichen Schriften nun wirklich zu übersetzen seien - und in welche romanischen Idiome.

Am 31. Juli 1848 beantragte die Regierung dem Grossen Rat, gänzlich auf die bisherigen romanischen Übersetzungen zu verzichten.

Der Grosse Rat entschied sich für einen Kompromiss: Die Vorschläge für Gesetze sollten weiterhin ins Sursilvan übersetzt werden, die fertigen Gesetze hingegen nicht. Genauso verfuhr man dann mit der eidgenössischen Bundesverfassung. Die italienischen Versionen der Verfassung wurden hingegen bereits vom Bund geliefert, da ja das Italienische zu den „Nationalsprachen“ zählte – und zählt. Die Wünsche nach ladinischer Übersetzung von Gesetzestexten, ins besondere auch der Bundesverfassung, wurden 1848 hingegen alle abgewiesen.

Wer heute die romanischen Versionen von kantonalen Gesetzen sucht, findet sie für das 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein am ehesten in den Sammlungen der „Abschiede des Grossen Rats an die Ehrsamen Räthe und Gemeinden desselben“, den Vorläufern der späteren „Erläuterungen zu den kantonalen Abstimmungen“, wobei es sich eben streng genommen jeweils nur um die Abstimmungsvorlagen, und nicht die „gültigen Versionen“ handelt.

Legenden

  1. Artikel 109 definiert deutsch, französisch und italienisch als Nationalsprachen. Das Romanische wird erst 1938 als solche anerkannt.
  2. Protokoll des Grossen Rates vom 31. Juli 1848, Antrag des Kleinen Rates (Regierung), auf die romanischen Übersetzungen zu verzichten.