Im Kanton Graubünden gibt es zahlreiche Quellen, die für spezialisierte Tier- und Pflanzenarten von grosser Bedeutung sind. Geeignete Schutz- und Aufwertungsmassnahmen sowie ein schonendes Vorgehen beim Fassen von neuen Quellen können zum Erhalt dieser ökologisch wichtigen und immer seltener werdenden Lebensräume beitragen.
Was ist ein Quell-Lebensraum?
Ein Quell-Lebensraum umfasst
- die Stelle, an der das Grundwasser zu Tage tritt (Quellaufstoss);
- die unmittelbare Umgebung des Wasseraustritts;
- das vernässte Umfeld der Quelle mit seiner Vegetation;
- in vielen Fällen auch den ersten Abschnitt des abfliessenden Quellbachs.
Quellen sind typischerweise sehr kleinflächige Lebensräume. Die enge Verzahnung von Wasser und Land sowie besondere Umwelt-Parameter (z. B. Mikroklima, Wassertemperatur) ermöglichen das Vorkommen verschiedener Lebensgemeinschaften auf engstem Raum. Auf das meist ganzjährig kühle, saubere und nährstoffarme Wasser haben sich zahlreiche Lebewesen spezialisiert.
Quell-Lebensräume im Kanton Graubünden
Im Kanton Graubünden gibt es zahlreiche Quellen, Quellfluren und Quellmoore, die für viele spezialisierte Tier- und Pflanzenarten von grosser Bedeutung und deshalb nach Art. 18 NHG 1bis erhaltenswert sind. Quell-Lebensraumtypen wie die kalkarme und die kalkreiche Quellflur sind national prioritäre Lebensräume, die nach Anhang 1 NHV zu den schützenswerten Lebensräumen zählen. Sie beherbergen häufig national prioritäre Arten oder Arten der Roten Liste, für welche die Schweiz und – gemäss den Vorgaben des Bundes – der Kanton Graubünden eine besondere Verantwortung tragen (kantonale Handlungsarten; siehe auch Artenförderung). Entsprechend ist der Kanton auch in der Pflicht, die immer seltener werdenden naturbelassenen Quellen als Lebensräume zu erhalten.
Der Druck auf diese Quell-Lebensräume jedoch steigt. Die wichtigsten Gründe sind:
- der zunehmende Bedarf an Quellwasser für die öffentliche Trinkwasserversorgung (vor allem in Gebieten mit naturbedingt erhöhtem Schadstoffgehalt in Böden) und die Wasserversorgung von Ferienhäusern;
- der Bedarf an Brauchwasser für die Landwirtschaft (beispielsweise in der Alpwirtschaft oder für Viehtränken);
- der Klimawandel.
Geeignete Schutz- und Aufwertungsmassnahmen sowie ein schonender Umgang mit Quellfassungen tragen dazu bei, diese naturnahen und immer seltener werdenden Lebensräume zu erhalten.
Nutzung und Schutz der Quell-Lebensräume in Graubünden
In der Gewässerschutzkarte des Kantons Graubünden sind rund 8000 Quellen eingetragen:
- 4800 gefasste Quellen;
- 70 gefasste Mineralquellen;
- 3040 ungefasste Quellen;
- 60 ungefasste Mineralquellen.
Die Erfassung dieser Quellen erfolgte unter dem Fokus der Trinkwasserversorgung. Zu den ungefassten Quellen liegen nur wenige Daten vor.
Im Kanton Graubünden wird praktisch das gesamte Trinkwasser aus dem Grundwasser gewonnen. Ausser in den Talgebieten werden dazu überwiegend Quellen genutzt. Viele Quellen befinden sich deshalb in einem naturfernen Zustand. Ursache dafür sind oft bauliche Eingriffe, sei es zur Fassung des Quellwassers oder zur Entwässerung von Bauten und Anlagen.
Im Wald sind Quell-Lebensräume kaum beeinträchtigt und auch nicht gefährdet. Im Offenland hingegen kann die Landnutzung die Lebensraumqualität von Quellen massgeblich beeinflussen. Im hydrologischen Einzugsgebiet sind dies vor allem Nährstoffeinträge, im engeren Quellbereich auch Trittschäden durch Weidetiere. Vernetzungsprojekte (in der landwirtschaftlichen Nutzfläche) und Beweidungskonzepte (im Sömmerungsgebiet) tragen massgeblich dazu bei, diese sehr speziellen, kleinflächigen und entsprechend empfindlichen Lebensräume und die darauf angewiesenen Arten auch im Kulturland zu erhalten.
Für die Bewilligung von technischen Eingriffen in Quell-Lebensräumen gelten die gleichen Voraussetzungen wie im übrigen Biotopschutz: Bedarf, Standortgebundenheit und überwiegendes Interesse müssen ausgewiesen sein. Ist ein biotopschädigender Eingriff grundsätzlich bewilligungsfähig, muss auch für die Beeinträchtigung eines Quell-Lebensraums ökologischer Ersatz geleistet werden (siehe «Ersatz und Aufwertung von Quell-Lebensräumen»). Um die Schutzwürdigkeit eines Quellbereichs beurteilen und eine korrekte Güterabwägung vornehmen zu können, muss die Bauherrschaft in der Regel den Sachverhalt durch Fachspezialisten oder -spezialistinnen abklären lassen.
Das Amt für Natur und Umwelt berät und sensibilisiert Bauherren, Gemeinden und Fachpersonen, damit sie die ökologisch sensiblen Quellen möglichst schonend nutzen und bestehende Beeinträchtigungen beheben können.
Ersatz und Aufwertung von Quell-Lebensräumen
Werden Quellen nicht mehr genutzt – weil sie zum Beispiel zu wenig Wasser schütten oder die Wasserqualität den Ansprüchen der Trinkwasserversorgung nicht mehr genügt –, lassen sie sich oft einfach und kostengünstig aufwerten oder revitalisieren. Entsprechende Massnahmen sind im Umfeld, am Quellbach und am Quellaustritt durchzuführen. Damit kann zum Beispiel auch Realersatz für bauliche Eingriffe in Quell-Lebensräume geschaffen werden.
Beispiele von Massnahmen:
- Rückbau nicht mehr benötigter Fassungen;
- Verschliessen / Verstopfen alter Verrohrungen und Drainagen;
- Lebensraumaufwertungen;
- Einbau eines Überlaufs bei einer neuen Fassung, was die Entstehung eines sekundären Quell-Lebensraums fördert.
Die Gemeinden sind für die Trinkwasserversorgung zuständig. Sie kennen oft aufgegebene Quellen, die im Rahmen von neu zu fassenden Quellen für Revitalisierungs- und Aufwertungsmassnahmen in Frage kommen.
Aufwertungen und Renaturierungen von Quell-Lebensräumen können auch unabhängig von einer ökologischen Ersatzpflicht mit NHG-Geldern finanziert werden.
Weitere Informationen zu Eingriffen in schützenswerte Lebensräume finden Sie hier.
Aufgaben der Bauherrschaft in Zusammenhang mit Quell-Lebensräumen
Für die Fassung von Quellen sowie die Sanierung von Quellfassungen muss ein BAB-Verfahren durchgeführt werden. Wird eine potenziell schutzwürdige Quelle vom Vorhaben tangiert, muss die Bauherrschaft vorgängig alternative Quellstandorte prüfen.
Einem Gesuch für eine neue Quellfassung sind folgende Unterlagen beizulegen:
- Standort der Quelle;
- Verlauf der geplanten Leitungen;
- Angaben zum Bedarf (Gründe, weshalb man die Quelle fassen will. Zum Beispiel für die Trinkwasserversorgung, zur Tränkung von Vieh oder zur Stromproduktion);
- Angaben zur Standortgebundenheit (Gründe, warum man die im Gesuch genannte Quelle fassen will und nicht eine andere. Zum Beispiel deshalb, weil nur diese eine ausreichende Schüttung aufweist, oder weil nur diese aufgrund bestimmter Grenzwerte für die Trinkwasserversorgung geeignet ist usw.);
- allfällige Abklärungen bezüglich alternativen Wasserfassungen;
- Art der Fassung;
- Bewertung der Quelle aus ökologischer Sicht durch eine Fachperson (Ökobüro); Fotos der Quelle und ihres nahen Umfelds während der Vegetationsperiode;
- Angaben zu Schutzmassnahmen;
- evtl. Angaben zu Wiederherstellungs-Massnahmen.
Weitere Informationen zu Eingriffen in schützenswerte Lebensräume finden Sie hier.